21.08.2020

Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.marens-travelnews.com

„Festhalten!“, ruft Aminieli, legt mit einer geschmeidigen Bewegung durch den ganzen Körper den ersten Gang ein und tritt das Gaspedal durch. Der schwere LandCruiser setzt sich abrupt in Bewegung, wir verlassen unser Versteck unter Akazienbäumen und rasen nur kurze Zeit später über die holprige Grassavanne die paar Hundert Meter hinunter bis zum Mara-Fluss.

Es ist August und somit die Zeit der berühmten Flussquerungen der Gnu- und Zebraherden in der Serengeti, die ihren uralten Instinkten folgen und die reichen Weidegründe der Maasai Mara ansteuern, wie der kenianische Teil dieses weltbekannten Ökosystems genannt wird.

Aminieli bringt uns mit all seiner Routine für die beste Fotografier-Position quer ab, aber in diesem Sommer gibt es ohnehin keinen Streit um die besten Plätze, denn wir teilen dieses Erlebnis mit nur sieben weiteren Autos. Wo sich sonst bis zu hundert Fahrzeuge drängeln herrscht im Covid-Sommer beinahe beschauliche Ruhe, als wäre man in der Zeit zurück in die 50er Jahre gereist, als Grzimek dieses Spektakel gefilmt und für dessen dauerhaften Erhalt gekämpft hat.

Wer macht den ersten Schritt? Es braucht vor allem Geduld hier oben am Mara. Die Herden sammeln sich mal hier, mal da. Irgendwann geht ein mutiges Tier voraus und blökt laut, als wenn es sagen will „Geh Du!“, während ein Kollege zu antworten scheint: „Ich? Bist Du verrückt? Geh doch selber!“, und so zieht sich das Schauspiel über Stunden hin. Vor und zurück, dann wird möglicherweise erst einmal Siesta gehalten und plötzlich dann geht dann alles ganz schnell, wenn zu viele Neuankömmlinge nachrücken und das erste mutige Tier sich in die Fluten stürzt, wo Krokodile die gewetzten Messer in den Händen halten und sich vormals gelangweilte Raubtiere am anderen Ufer blitzschnell erheben und in Stellung bringen. Es ist ein episches Schauspiel, traurig und wunderschön, auf Leben und Tod, fressen und gefressen werden. Wer den Gefahren im Wasser entrinnt, muss an der gegenüberliegenden Seite die steilen Wände hinaufklettern. Die meisten Tiere schaffen die Hürde mit scheinbar letzter Kraft, andere rutschen zurück und reißen wieder andere mit. Eine sorgende Gnu-Mutter kehrt mitten im Fluss um und will ihr verzweifelt rufendes Kalb holen, doch das entpuppt sich als Hasenfuß, das sich nicht heute überzeugen lässt, die Seite zu wechseln. Mutter und Kind entscheiden sich schließlich für einen Verbleib in Tansania und lassen die Herde ziehen. Vorerst.

Es ist meine zweite Reise nach Tansania in diesem Sommer und ich habe mich dieses Mal aus verschiedenen Gründen ein bisschen zurückgehalten. Zu gegenwärtig war mir noch diese Angst, ja beinahe Paranoia, von der letzten Rückreise: Was machst Du, wenn Du positiv getestet wirst? Ich könnte den Shitstorm aushalten, aber kann es auch die Branche? Das letzte was ich will, ist allen Mitstreitern einen Bärendienst zu erweisen. Auch dieses Mal waren die beinahe 48 Stunden des bangen Wartens aufs Testergebnis absolut kein Vergnügen, aber vielleicht so etwas wie die gerechte Strafe für meinen Freiheitsdurst. Ich weiß es nicht.

Was ich allerdings weiß ist, dass 100 % unserer aus Tansania zurückgekehrten Gäste seit Einführung der zunächst freiwilligen, später verbindlichen Tests für Rückkehrer, also seit 25.6., negativ getestet sind. Das sind zwar weniger als 30 Menschen, aber es lässt sich doch eine gewisse Evidenz ableiten: Tansania ist sicher!

Tansania-Urlaub ist sowas wie der Inbegriff von Social Distancing. Meine Erfahrungen decken sich sehr mit den Thesen von Herrn Minister Müller. Unabhängig von den schlimmen wirtschaftlichen Folgen für die Menschen in Tansania – mit allen Konsequenzen – bin ich mir sicher, dass wir in Tansania alle nötigen Maßnahmen zum Schutz vor einer Infektion mit (oder einer Ausbreitung von) COVID-19 ergriffen haben. Die Ministerien für Gesundheit und Ressourcen & Tourismus haben gemeinsam mit der Tanzanian Association of Tour Operators TATO hat einen Punkteplan entwickelt, der über Schutzmaßnahmen in europäischen Urlaubsgebieten sogar hinausgeht.

Probleme wie das Nadelöhr „Transfer“ zwischen Flug und Hotel existieren in Tansania nicht, weil es sich vorwiegend um Privatreisen geschlossener Personenkreise in privaten Safari-Fahrzeugen handelt. Die gastgebenden Lodges und Camps sind ideal aufgestellt. Alle Mitarbeiter mit Kundenkontakt tragen Masken. Möglichkeiten zur Handdesinfektion stehen überall bereit, und das ist in Tansania übrigens nichts Neues, da viel mit den Händen gegessen wird. Diese schmiedeeisernen Apparaturen gab es schon immer, nur standen sie früher in den Restaurants und Shops, nun stehen sie vor der Tür. Mit Pedalen ausgestattet, eines für die Seife, eines für das Wasser, ist die Handhygiene tatsächlich viel ausgefeilter als hier bei uns. Darüber hinaus sind alle Räumlichkeiten viel weniger als geschlossen zu bezeichnen, als das in europäischen Hotels der Fall ist, sondern sie sind weitläufig, großflächig und oft zu vielen Seiten offen. Das Leben findet draußen statt.

Ein langes Gespräch mit Rian Labuschagne von der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft in Seronera hat uns zudem schmerzlich verdeutlicht, was den Nationalparks wie der Serengeti droht, wenn die Menschen die Grenzen der Parks aus wirtschaftlicher eigener Not zunehmend nicht mehr akzeptieren. Man muss wohl feststellen, dass die SERENGETI akut auf dem Spiel steht, weil Wilderei in den Randgebieten aktuell stark zunimmt.

Hinter jedem ausbleibenden Gast steht ein arbeitsloser Safari-Guide und noch so viele mehr: etwa der LKW-Fahrer, der die Camps mit Coca-Cola beliefert oder der Schrauber in der Werkstatt, der die Land Cruiser flott macht, bis hin zu den Mamas, die am Straßenrand von Mto wa Mbu rote Bananen an Reisende verkaufen.

Im Gegensatz zum Juni sind wir dieses Mal unterwegs auch anderen Reisenden begegnet. Die überwiegende Mehrheit waren Schweizer und Franzosen, aber auch Österreicher und wenige Amerikaner waren darunter. Deutsche haben wir nur getroffen, als wir in Seronera meinen eigenen Kunden begegnet sind. Das war ein Moment für die Ewigkeit: Alle drei fest für uns tätigen Safari-Guides in Lohn und Brot, alle drei Autos auf der Straße. Unmöglich im COVID-Sommer 2020? Nein, das ist es nicht. Das haben wir bewiesen. Aber es war Arbeit, unendlich viel Mühe und Kampf gegen alle Widerstände, vor allem gegen den sogenannten Mainstream, der mich und gleichgesinnte Kämpfer für Tourismus in Afrika an die Wand stellen möchte. Drei Tage lang hat es mir die Laune nachhaltig verhagelt, als Albrecht mir den Leitartikel aus den Zeitungen vom 8.8. gesendet hat: „Reisen in Risikogebiete – eine Frage der Moral“.

Ich bin mir sicher, dass eine Einzelfallprüfung für Tansania ein Fortbestehen auf dieser unsäglichen Liste von 160 pauschal als unsicher eingestuften Ländern nicht rechtfertigen könnte und hoffe inständig, dass das Auswärtige Amt zu differenzierten Reisehinweisen zurückkehrt und die weltweite Reisewarnung nach dem 31.08. den Realitäten anpasst. So, wie die Schweiz es längst getan hat. Tansania kann auf dieser Liste nicht verbleiben.

Das können sie einfach nicht machen.

Auf Straßen, die den Namen nicht verdient haben, holpern wir von der nördlichen Serengeti durch die Region Lobo Richtung Sero, als ich weit voraus auf der Ebene etwas entdecke. Ein Haufen Geier sitzt am Boden und mit dem Fernglas erspähe ich die charakteristischen Umrisse eines gewaltigen Löwen, der am Boden liegt und seinen Blick in die Ferne richtet. Die Mähne flattert im Wind. Direkt neben dem Raubtier lugt ein Bein in die Höhe, ein gestreiftes. Schluck. Es ist ein Zebra, und der seltsame Winkel des Beines verheißt nichts Gutes. „Warum hältst Du, Amini, fahr doch noch ein Stückchen weiter!“, rufe ich ihm aufgeregt zu, als er mich anlächelt und antwortet: „Guck doch mal nach rechts!